Mittwoch, 17 August 2016 09:00

Mit nur einer Hand locht er ein - Augsburger Allgemeine

Chris Thoma vom PBC Königsbrunn spielt seit einem Motorradunfall mit Handycap. Über den Unterschied zwischen Behindertensportler und Normalspieler

Wenn Chris Thoma am Billardtisch steht, sind meist alle Blicke auf ihn gerichtet. Denn der 50-Jährige spielt mit nur einer Hand. Ein lockerer Stoß aus dem Handgelenk und schon landet die erste Kugel im Loch. Ein geschulter Blick genügt dem erfahrenen Spieler, um zu wissen, was nun zu tun ist. Mal mit viel Gefühl, mal mit einem kräftigen Stoß lässt er Kugel um Kugel in den Taschen des Tisches verschwinden, bis schließlich nur noch die schwarze Acht zu sehen ist. Es sieht so einfach aus – dabei hat er nur einen funktionierenden Arm. Normale Spieler benutzen die andere Hand als Führungshilfe, Thoma spielt mit einer speziellen selbst entworfenen Hilfsbrücke.

Beim einem Motorradunfall wurden einst die Nervenstränge zu seinem linken Arm durchtrennt. Damals war Thoma 19 Jahre alt – seither kann er seinen Arm nicht mehr bewegen. Über ein Jahr lang hoffte und bangte er, vergebens. Thoma lernte, mit dem Schicksalsschlag zu leben. Seit vielen Jahren engagiert er sich für den Behindertensport. 40 bis 50 Spieler treten bei speziellen Turnieren regelmäßig gegeneinander an. Handycap Billard heißt der Zusammenschluss, der den Sport auch für Behinderte attraktiv machen will. Nach dem Motto „Break the Limits“ sollen behinderte Billardspieler auf die Turniere aufmerksam gemacht werden: „Viele wissen gar nicht, dass es diese speziellen Wettbewerbe gibt. Jeder soll die Möglichkeit haben, dabei zu sein.“ Deshalb hat Thoma im vergangenen Jahr ein solches Turnier erstmals in der Region veranstaltet. „Ich wollte das Format auch hier etablieren.“ Am 27. und 28. August findet das Turnier zum zweiten Mal in Kissing statt. Das Angebot richtet sich an Körperbehinderte mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent und mit einer sichtbaren Behinderung.

Als Jugendlicher hatte Thoma bereits erste Erfahrungen im Billard gesammelt, doch dann wieder aufgehört. Nach seinem Unfall war zunächst nicht an den Sport zu denken: „Ich wusste gar nicht, dass es so überhaupt geht.“ Der gelernte Schmelzschweißer musste seinen Beruf aufgeben und machte später eine Umschulung zum technischen Zeichner. Wie er zum Billard zurückfand? Aus einer Laune heraus griff er zum Billard-Queue und merkte schnell, dass es auch mit einem Arm funktioniert. „Mit den ersten Erfolgen kehrte der Spaß zurück.“ Thomas‘ Schlüsselmoment kam aber erst ein paar Jahre später. In einer Zeitschrift las er von einem Turnier für behinderte Billardspieler in Hennef (Nordrhein-Westfalen). Er fuhr spontan hin: „Was die Spieler dort trotz ihrer Behinderungen gemacht haben, war erstaunlich, für mich ein bewegender Moment.“

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Seitdem nimmt Thoma regelmäßig an solchen Turnieren teil. Problematisch seien für viele Spieler die langen Anfahrtswege: „So ein Turnier am anderen Ende Deutschlands geht ins Geld. Wir suchen nach Sponsoren, die allen Spielern eine Teilnahme ermöglichen.“ Etwas anderes ärgert die Mitglieder noch mehr. Nicht alle behinderten Sportler können bei Europa- und Weltmeisterschaften mitspielen: „Nur Rollstuhlfahrer dürfen laut Reglement mitmachen,“ sagt Thoma. Der Wunsch unter den Spielern sei groß, dass auch nicht-rollstuhlbehinderte Teilnehmer zugelassen werden, gegebenenfalls nach Behinderungsart in Gruppen aufgeteilt.

In Bobingen spielte er mehrere Jahre in einer Mannschaft. Erstaunte Blicke, Getuschel und Nachfragen – „Ich erkläre es dann und gut ist es.“ Manche Spieler begegnen Thoma trotzdem nicht mit dem nötigen Respekt: „Viele unterschätzen mich wegen meiner Behinderung. Das ist nicht weiter schlimm. Es ärgert mich aber, wenn ich nicht ernst genommen werde.“ Seit rund zwei Jahren spielt er beim PBC Königsbrunn. Dort aber nur noch bei vereinsinternen Meisterschaften: „Ich wurde sehr gut aufgenommen und mittlerweile kennt ja jeder meine Geschichte. Da wundert sich keiner mehr.“ Noch lieber spielt er allerdings mit behinderten Sportlern. „Bei den Turnieren ist es wie in einer Familie. Es geht um mehr als den Sport. Wenn ich den anderen zusehe, wie sie mit ihrer Behinderung klarkommen, gibt mir das enorm viel Auftrieb.“ Was die Behindertensportler von den normalen Spielern unterscheidet? „Die sind vielleicht noch ehrgeiziger. Sie wollen unbedingt zeigen, dass sie trotz Beeinträchtigung mithalten können.“

Für Thoma steht der Spaß im Vordergrund. Er redet nicht groß über seine Erfolge. Ein paar Landesmeisterschaften hat er gewonnen und war 1995 sogar Deutscher Vizemeister im Behindertenbillard. „Gewinnen ist aber nicht so wichtig.“ Das sieht man, als er die letzte verbliebene Kugel auf dem Billardtisch lochen will. Kein Zielen, er schießt einfach drauf los und die schwarze Acht verfehlt das Loch. „Egal“, sagt Thoma und lächelt.

Weitere Informationen zum Behinderten-Billard sowie Ergebnisse, Spielerporträts und Turnierpläne gibt es unter www.handicapbillard.de.

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